Parodontitis
Durch Bakterien verursachte Erkrankung des Zahnhalteapparates. Der Verlauf ist meist chronisch und oft über Jahre vom Patienten unbemerkt. Die Parodontis führt zu irreversiblem Verlust von Knochen und Gewebe.
Parodontitis
Die Parodontitis ist eine bakteriell bedingte Entzündung, die sich in einer weitgehend irreversiblen Zerstörung des Zahnhalteapparates (Parodontium) zeigt.
Die Parodontitis wird wie Gingivitis durch bakterielle Plaque ausgelöst, einem zäh anhaftenden Biofilm. Hauptunterscheidungsmerkmal ist der bei der Parodontitis vorhandene, röntgenologisch nachweisbare Knochenabbau, während die vertieften Zahnfleischtaschen bei der Gingivitis durch die entzündliche Schwellung der Gingiva zustande kommen. Eine langandauernde Gingivitis (Zahnfleischentzündung) kann auf den Kieferknochen, die Wurzelhaut und das Zement übergreifen. Der Übergang ist jedoch nicht zwangsläufig, gerade bei Kindern und Jugendlichen kann eine Gingivitis über Monate und Jahre bestehen, ohne auf andere Strukturen über zu greifen. Die genauen Mechanismen sind noch nicht vollständig geklärt. Sowohl bei der Gingivitis als auch bei der Parodontitis werden aus dem Biofilm bakterielle Stoffwechsel- und Zerfallsprodukte freigesetzt, die Abwehrreaktionen des Körpers auslösen. Die Hauptrolle bei der Gewebszerstörung selbst spielt das eigene Immunsystem, das versucht, die Bakterien zu beseitigen. Diese Immunantwort besteht aus einer vielfältigen Abfolge von Reaktionen und Aktionen, bei der verschiedene Entzündungsstoffe und –zellen beteiligt sind. Unter anderem werden Enzyme gebildet, die die Bakterien zerstören sollen, jedoch auch zu einer Zerstörung von Eigengewebes führen. Das führt letztlich zum Verlust von Bindegewebe und Knochen. Das Ergebnis der Reaktion auf die Bakterien sind Zahnfleischbluten, Taschenbildung, Zurückgehen des Zahnfleischs und schließlich Lockerung und Verlust der Zähne.
Von den etwa 500 verschiedenen Bakterienspezies, die in der Mundhöhle vorkommen können, sind nur wenige parodontalpathogen (krankheitserregend). Diese werden auch als Hauptleitkeime bezeichnet und bilden sogenannte Cluster (Haufen), welche in ihrer Vergesellschaftung spezifisch sind. Sie sind obligat oder fakultativ anaerobe, gramnegative, schwarzpigmentierte Bakterienarten wie der so genannte Rote Komplex (Porphyromonas gingivalis, Treponema denticola und Tannerella forsythensis (Bacteroides forsythus) sowie Actinobacillus actinomycetemcomitans Subtyp B.
Risikofaktoren
Obwohl das Immunsystem und die Anwesenheit bestimmter Baktierien die Hauptrolle bei der Entstehung einer Parodontitis spielt, gibt es einige Risikofaktoren, die die parodontale Gesundheit beeinflussen:
schlechte oder falsche Mundhygiene mit Plaque und Zahnstein; genetische Prädisposition; Tabakkonsum (Raucher haben verglichen mit Nichtrauchern ein 4- bis 6-fach erhöhtes Risiko, eine Parodontitis zu entwickeln); Diabetes mellitus (insbesondere wenn der Blutzuckerspiegel schlecht eingestellt ist); Lebenspartner mit bestehender Parodontitis (Ansteckung, auch von Mutter auf Kind möglich!); Schwangerschaft (durch Hormonumstellung lockert das Bindegewebe auf und das Zahnfleisch schwillt an; Bakterien können leichter ind die Tiefe vordringen); offene Zahnkaries; Mundatmung; Bruxismus (zumeist Stressbedingt); allgemeine Abwehrschwäche; unausgewogene Ernährung (früher spielte Vitaminmangel eine größere Rolle (Skorbut).
Verlauf
In den meisten Fällen handelt es sich um ein chronisch schubweise verlaufendes Geschehen. Dieses tritt vorwiegend bei Erwachsenen auf, ist nur selten schmerzhaft und führt, von den Betroffenen zumeist unbemerkt, erst nach Jahren zu Zahnlockerungen. Der Zahnfleischsaum bietet dabei für Bakterien einen relativen Schutz vor der Selbstreinigung der Mundhöhle durch Zunge und Speichel. Beim Gesunden garantiert das sogenannte Saumepithel durch seine Anhaftung am Schmelz eine kontinuierliche Oberfläche zwischen Zahnfleisch und Zahn. Wird die Plaque in diesen Nischen nicht sorfältig entfernt, greifen die Ausscheidungsprodukte der Mikroorganismen (Exotoxine) das Saumepithel an und einige Bakterien sind sogar in der Lage das Epithel zu durchwandern. Der Körper reagiert auf solche Angriffe mit der Einwanderung von Abwehrzellen aus dem Blut. Dabei bilden die neutrophilen Granulozyten und die Makrophagen einen Schutzwall gegen das weitere Vordringen von Fremdkörpern. Nach und nach werden so die Eindringlinge zerstört und phagozytiert ("verdaut"). Dabei werden verschieden Endotoxine freigesetzt. Sowohl die Exotoxine als auch die Endotoxine und einige Zerfallsprodukte der Körperabwehrzellen stellen einen Reiz dar. Um das umliegende Gewebe vor diesen Reizen zu schützen und einem Vordringen der Entzündung in die Tiefe vorzubeugen, aktiviert der Körper unter anderem Osteoklasten. Deren Aufgabe besteht im zielgerichteten Ab- und Umbau von Knochengewebe.
Bei einer guten Körperabwehr können die Mikroorganismen lange davon abgehalten werden, in die Tiefe vorzudringen. Die Kräfteverhältnisse in diesem Kampf sind jedoch sehr labil. Eine Verschlechterung der Körperabwehr, eine starke Vermehrung von Bakterien, oder eine Veränderung der Aggresivität der Mikroorganismen führt dann zu einem weiteren Fortschreiten des Entzündungsgeschehens in die Tiefe. So kommt es im Verlauf zu einem stetigen Knochenverlust, der nur durch eine vollständige Entfernung der Reize kann gestoppt werden kann. Auf Röntgenbildern erscheint der Knochenverlust vorwiegend horizontal, da die Osteoklasten in Ruhephasen der Entzündung das zerklüftete Knochengewebe ausformen und so an die neuen Gegebenheiten anpassen. Aufgrund des langsamen und langen Krankheitsverlaufs wird diese Form der Entzündung als chronische Parodontitis bezeichnet.
Davon wird die aggressive Parodontitis unterschieden, welche rasch zu umfangreichem Knochenverlust führt und manchmal auch schon im Kindesalter auftritt. Darum wurde sie in der früheren Nomenklatur als juvenile Parodontitis bezeichnet. In Röntgenbildern erscheint der Knochenverlust bei diesem schnell fortschreitenden Verlauf als scharfkantiger vertikaler Krater entlang Wurzeloberfläche, da keine Ummodellation stattgefunden hat. Als Ursachen für diese seltenere Form werden besonders aggressive Erreger und/oder eine nicht funktionierende lokale Abwehr der bakteriellen Reize diskutiert.
Da die Entzündungen in den Tiefen der parodontalen Taschen fortschreiten, ist eine Diagnose ohne zahnärztliche Hilfsmittel für Betroffene oft schwierig.
Therapie
Die Therapie besteht heute darin, den Entzündungszustand des Zahnfleisches und des Zahnhalteapparates zu beseitigen und Plaque und Zahnstein, sowie entzündungsfördernde Faktoren zu beseitigen. Die Behandlung gliedert sich in verschiedene Phasen, in denen unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden können.
Die erste Phase stellt eine umfassende Diagnostik dar, mit welcher Art, Schwere und Verlauf der Erkrankung bestimmt werden können. Klinisch beurteilt man den Gesamtzustand des Gebisses, die Zahnlockerung, die Tiefe der Taschen (Sondierungstiefe) den Zahnfleisch-Rückgang und die Mundhygiene des Patienten. Außerdem wird durch Röntgenaufnahmen der Knochenverlauf festgestellt. In manchen Fällen werden ergänzend mikrobiologische (Nachweis bestimmter parodontalpathogener Bakterien) oder genetische (Nachweis einer genetischen Veranlagung) Tests durchgeführt.
Anschließend werden in der sogenannten Hygienephase alle supragingival (oberhalb des Zahnfleischrandes) gelegenen harten und weichen Beläge entfernt (professionelle Zahnreinigung, PZR). Dabei wird dem Patienten auch gezeigt, wie er zu Hause eine optimale Zahnpflege betreiben kann. Dieser Vorgang muß zumeist mindestens zweimal wiederholt werden, außerdem müssen in dieser Phase bei Bedarf Füllungen oder Wurzelfüllungen gelegt oder erneuert werden, nicht erhaltungswürdige Zähne gezogen werden. Dadurch können weitere Baktierenherde in der Mundhöhle eliminiert werden. Durch verschiedene Medikamente kann ebenfalls das Bakterienwachstum kontrolliert und verringert werden. Allein durch diese Hygienemaßnahmen kann bei vielen Betroffenen schon eine merkliche Besserung erreicht werden.
Im Anschluß beginnt bei Bedarf die sogenannte geschlossene Behandlungsphase, bei der die subgingival (unterhalb des Zahnfleischrandes) liegenden harten und weichen Beläge entfernt werden (geschlossene Kürettage). Dies geschieht mit Küretten (speziell geformte Handinstrumente), mit schall- und ultraschallbetriebenen Geräten oder unter Anwendung bestimmter LASER. Nach zwei bis drei Wochen Heilungszeit wird das Ergebnis dieser Behandlung kontrolliert, in dem erneut die Sondierungstiefen gemessen werden und wenn nötig die Maßnahmen an einzelnen Stellen wiederholt werden.
Bei sehr tiefen Zahnfleischtaschen (> 5 mm), welche durch die Hygienemaßnahmen und die geschlossene Behandlung nicht ausreichend zurückgegangen sind, kann es notwendig sein, in die offene Behandlungsphase überzugehen. Dabei werden die Bereiche chirurgisch eröffnet damit unter Sicht die Maßnahmen der geschlossenen Behandlung wiederholt werden können. In diesem Fall ist es zum Teil auch möglich, eröffnete und gesäuberte Knochentaschen mit Knochenersatzmaterialien (Guided Bone Regeneration, GBR) aufzufüllen oder mit Membranen abzudecken (Guided Tissue Regeneration, GTR).
Unter bestimmten Voraussetzungen (aggressive, schnell verlaufende Formen der Parodontitis) ist es sinnvoll, die Behandlung durch die Anwendung von Antibiotika zu ergänzen. In einer Schweizer Feldstudie konnten mikrobiologisch 5 parodontale Typen (Vergesellschaftungen von Bakterien) nachgewiesen werden, welche verschieden zu therapieren sind: bei 3 Typen genügte eine Kürettage, bei zwei Typen mussten zusätzlich noch bestimmte Antibiotika verabreicht werden. Diese können in Tablettenform (systemisch) gegeben werden oder sie werden direkt in die Zahnfleischtasche eingebracht. In beiden Fällen ist es von Vorteil, vorher eine Keimbestimmung durchzuführen, damit man zielgerichteter behandelt. Es macht allerdings keinen Sinn, die Infektion nur mit Antibiotika therapieren zu wollen, ohne die Zähne vorher zu reinigen. Die Bakterien sind in ihrem Biofilm vor der Einwirkung durch das antibiotische Medikament fast vollkommen geschützt. Erst durch die Zerstörung des Biofilmes werden die Bakterien für die Antibiotika zugängig.
Prognose
Rechtzeitig und richtig behandelt kann einer Parodontitis fast immer Einhalt gewährt werden, allerdings ist diese Behandlung zum Teil sehr langwierig und immer stark von der Mitarbeit des Patienten abhängig. Da die Parodontitis ein Ausdruck eines erfolgreichen bakteriellen Angriffs gegen die einst intakte Grenze Zahn - Zahnfleisch ist, muß sich jeder Betroffene auch darüber im klaren sein, dass selbst nach erfolgreicher Beseitigung dieser Entzündung die Gefahr des Rückfalls fortbesteht. Darum ist auch nach Beendigung der eigentlichen Therapie eine regelmäßige Nachsorge nötig, um einem erneuten Aufflammen der Entzündung frühstmöglich entgegenzuwirken.
Unbehandelt führt die Parodontitis fast immer zu Zahnverlust und daraus folgend zu ästhetischen und funktionellen Beeinträchtigungen. Außerdem ist Parodontitis ein Risikofaktor für allgemeinmedizinische Erkrankungen. So gilt ein Zusammenhang zwischen parodontalen Erkrankungen und dem erhöhten Risiko für das Auftreten von Herzinfarkten und Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises als wissenschaftlich gesichert. In neueren Untersuchungen konnte außerdem gezeigt werden, dass eine unbehandelte Parodontitis das Risiko von Frühgeburten um das Siebenfache steigert und auch ein niedriges Geburtsgewicht ursächlich mit einer Parodontitis zusammenhängen kann.
Parodontitisprophylaxe
Um einer Parodontitis oder ihrem Wiederaufflammen vorzubeugen, ist es am wichtigstens, eine gründliche Parodontitis-Prophylaxe zu betreiben. Neben dem eigentlichen Zähneputzen sollte auf eine gute Zahnzwischenraumpflege und eine Entfernung von Belägen auf dem Zungenrücken geachtet werden. Durch eine regelmäßige Kontrolle beim Zahnarzt in Verbindung mit einer professionelle Zahnreinigung alle 3-6 Monate können außerdem Putznischen gesäubert werden und Hilfestellungen bei der häuslichen Mundhygiene gegeben werden. Bei erhöhtem Risiko, zum Beispiel durch eine Schwangerschaft oder starken Stress, können die Prophylaxeintervalle auch verkürzt werden, um frühstmöglich auf Veränderungen des Parodonts reagieren zu können. Daneben ist es wichtig die oben genannten Risikofaktoren zu minimieren (z.B. mit dem Rauchen aufhören, Diabetes richtig einstellen lassen).
Die Folgen des Zahnverlust, vor allem die zum Teil sehr kostenintensiven prothetischen Maßnahmen, welche sich oft an eine parodontologische Behandlung anschließen, sowie die Erkenntnis über die allgemeinmedizinischen Zusammenhänge haben zur Folge, dass der Diagnose, Behandlung und vor allem der Vorbeugung dieser Erkrankung eine immer größer werdende Bedeutung zugesprochen wird. Parodontitis ist eine "Volkskrankheit", fast jeder ist im Laufe seines Lebens irgendwann mehr oder weniger stark betroffen. Bei den über 40-jährigen gehen mehr Zähne durch Parodontitis verloren als durch Karies.